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Titel
The Metaphysical Club. A Story of Ideas in America


Autor(en)
Menand, Louis
Erschienen
New York 2001: Farrar, Straus & Giroux
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sebastian Brändli

Intellektuelle Geschichte ist im Vormarsch. Dabei geht es gottlob nicht einfach um eine Restituierung der «alten» Geistesgeschichte. Vielmehr nehmen neuere Ansätze interdisziplinäre Anleihen bei den Sozialwissenschaften, vor allem bei der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie auch bei der neuen Kulturgeschichte. – Louis Menand ist Anglist in New York. Seine Geschichte des wichtigsten amerikanischen Beitrages der Philosophiegeschichte, seine Geschichte des Pragmatismus, ist ein typisches Erzeugnis der neuen intellektuellen Geschichte: Es bezieht weite Kreise amerikanischer Geschichte mit ein und verfolgt überhaupt ein grosses Design. Das weite Ausgreifen ist offensichtlich gelungen, nicht umsonst hat das Werk neben diversen historischen und Buchhandelspreisen die wichtigste US-Auszeichnung für Literatur, den Pulitzer Prize, erhalten.

Die grundsätzlichste Aussage macht Menand bei der historischen Erklärung des Pragmatismus. Er stellt fest, dass die Generation der Pioniere lebensgeschichtlich geprägt war durch die (gemeinsame) Erfahrung des Civil War 1861–1865, und er breitet die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und vor allem auch die intellektuellen Voraussetzungen jener Epoche, die für die Protagonisten von grossem Einfluss waren, mit symmetrischen, schön vernetzten Kapiteln nach, um dann zu einer eigentlichen Kollektivbiographie vorzustossen. Vorgestellt werden: Charles Peirce, 1839–1914, Chemiker, Philosoph, Religionswissenschaftler und Logiker; Oliver Wendell Holmes, 1841–1935, Jurist und Verfasser des Standardwerkes Common Law (1881) sowie späterer langjähriger Verfassungsrichter im Supreme Court; William James, 1842–1910, Psychologe und Philosoph, Verfasser des Standardwerkes The Principles of Psychology (1890); John Dewey, 1859–1952, Philosoph, Psychologe und pädagogischer Reformer, Begründer der American Association of University Professors AAUP und einflussreicher intellektueller Beobachter seiner Zeit.

Die vier Protagonisten werden in zahllosen politischen und wissenschaftlichen Diskursen eingefangen: in der Sklaven- bzw. Sklavereiabschaffungsfrage (abolition); in der Frage um den Ursprung und die Entwicklung der Arten (Darwin); in der Bewältigung des Konfliktes um den Pullman-Boykott 1894 und generell der soziologischen Herausforderungen in den entstehenden amerikanischen Grossstädten, vor allem in Chicago; in der Entstehung von Sozialwissenschaften, insbesondere der Entwicklung der New Psychology. Im Zentrum stehen immer wieder kleine intellektuelle Zirkel – Clubs –, deren Bezeichnungen variieren, deren schönste Umschreibung dem Werk aber den Titel gegeben hat. – Grosses Gewicht nimmt sodann die akademische Entwicklung von John Dewey ein, dessen Ansatzpunkte bei den Theorien und theoretischen Aussagen seiner Vorbereiter und Weggefährten genau nachgezeichnet werden. Dabei kommen die bereits bestehenden und neu errichteten universitären Einrichtungen des Nordostens (inklusive Baltimore im Süden, Michigan und Chicago im Westen) ins Blickfeld. Eine besonders interessante Spielphase der amerikanischen Universitätsgeschichte wird aus dieser Perspektive in ein neues Licht gestellt: So werden die diversen Aufbau- und Ausbaustrategien der Präsidenten und Förderer dieser Universitäten – konkret bezogen auf Fachgebiete wie Philosophie, Psychologie, aber auch Fächer der Naturwissenschaften – detailliert nachgezeichnet, weil die Promotoren der Fächer begehrte Objekte bzw. Subjekte des Aufbaus von entsprechenden Universitäts-Departments waren; die Quellenlage scheint für diese Analysen sehr gut zu sein, wird doch aus vielen Anfrage-, Empfehlungs- und Einladungsschreiben der einzelnen Exponenten zitiert. Jedenfalls ergibt sich aus universitätsgeschichtlicher Perspektive ein faszinierendes dynamisches Puzzle, das auch hilft zu verstehen, weshalb die amerikanische Wissenschafts- und Universitätspolitik von der kontinental-europäischen so verschieden ist.

In Part Five wird ideengeschichtlich Bilanz gezogen. In drei Kapiteln zu den Themen pragmatism, pluralism und freedoms werden die in den vorigen Kapiteln gezogenen Linien weitergeführt und der Versuch gewagt, zu einer Synthese der Moderne zusammengefügt zu werden. Leider erweisen sich diese hohen Ansprüche, die sich der Autor in Bezug auf die generelle Erklärung der modernen USGesellschaft gesteckt hat, als Überforderung. Mit dem eigentlichen Bezugspunkt des Buches, der Geschichte des Pragmatismus, wird in den beiden letzten Kapiteln recht sprunghaft verfahren, und es wird dabei nicht klar, weshalb wo welche Erweiterung vorgenommen wird. Unter den Freiheiten, die zur Darstellung gelangen, werden zum Beispiel zunächst richtigerweise vor allem die natürlichen Rechte verstanden; der Autor rutscht dann aber ziemlich unvermittelt in eine Diskussion der akademischen Freiheit – eine Diskussion, die zwar essayistisch zu den übrigen Inhalten passt, deren Funktion in der Erklärung der Moderne aber nicht eigentlich ausgeführt wird. Ist die akademische Freiheit quasi als Kernfunktion der Moderne zu verstehen? Oder wird anhand der akademischen Freiheit die Freiheitsproblematik generell thematisiert, quasi eine Pars-pro-toto-Diskussion geführt? Da zeigt sich, dass Der metaphysische Club letztlich doch eher ein deskriptives Werk ist, und damit stärker der Tradition der «alten» Geistesgeschichte verbunden, als es dem Stand der intellektuellen Geschichte angemessen wäre. Das Buch ist allerdings glänzend geschrieben, gibt dem Nicht-Amerikaner viele ihm bisher nicht bekannte Bezüge preis, und schafft es offensichtlich auch, einer breiten amerikanischen Leserschaft Verstehens- und Identifikationschancen zu eröffnen; das zeigen die Auflage und die zahlreichen US-Anerkennungen.

Zitierweise:
Sebastian Brändli: Rezension zu: Louis Menand: The Metaphysical Club. A Story of Ideas in America. New York, Farrar, Strauss and Giroux, 2001.. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 3, 2007, S. 377-378.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 57 Nr. 3, 2007, S. 377-378.

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